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Wahnsinn, wenn die Zuschauer ausrasten

Amanal Petros zählt zu dem halben Dutzend internationaler Spitzenathleten, die am 31. Dezember im Bitburger 0,0%-Lauf der Asse über 8 Kilometer (Start um 15.30 Uhr auf dem Hauptmarkt) für den Sieg in Frage kommen. 2019 lief er als Zweiter hinter Isaac Kimeli ins Ziel (Foto: Norbert Wilhelmi). Der aus Kenia stammende Belgier ist auch diesmal der Topfavorit, doch so ausgeglichen wie 2022 war die Konkurrenz in Trier wohl noch nie. Neben Kimeli und Petros haben nämlich auch die weiteren deutschen Spitzenläufer Richard Ringer (Marathon-Europameister), Nils Voigt, Samuel Fitwi und Max Thorwirth 2022 internationale Klasse bewiesen.

Amanal Petros bereitet sich aktuell noch in Kenia vor. Der 27-Jährige steckt voller Vorfreude auf das Rennen: “Endlich wieder Silvesterlauf in Trier. Du glaubst nicht, wie hungrig ich bin”, hat er neben seinen besten Wünschen für die Feiertage an Silvesterlauf-Renndirektor Berthold Mertes geschrieben. In einem Gespräch mit Volksfreund-Reporter Holger Teusch schilderte der Marathon-EM-Vierte den Stand seiner Vorbereitungen – und schwärmte: “Wenn die Zuschauer bei den acht Silvesterlauf-Runden ausrasten, das ist einfach der Wahnsinn.” Amanal wurde 1995 in Eritrea geboren. Seine Mutter flüchtete mit ihm nach Äthiopien, als er zwei Jahre alt war. Mit 16 kam Amanal Anfang 2012 als Asylbewerber nach Bielefeld. 2015 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Holger Teusch berichtet wie folgt im Trierischen Volksfreund:

Wir erreichen Amanal Petros im „Home of Champions“, wie die Läuferhochburg Iten im kenianischen Hochland genannt wird. Eigentlich der passende Ort für Petros, dem ersten Läufer, der zeitgleich die deutschen Rekorde über Halbmarathon (1:00:09 Stunden) und Marathon (2:06:26 Stunden) hält. Doch der 27-Jährige sagt: „Ich wäre Weihnachten gerne wieder in Deutschland. Weihnachten und Neujahr sind für mich etwas Besonderes. Letztes Jahr haben wir mit 35 Leuten gefeiert.“ Diesen Heiligabend wird „Aman“, wie Petros meist genannt wird, nicht allein feiern. „Wir machen es uns gemütlich“, sagt er und erzählt, dass er die Festtage wohl mit einigen Lauffreunden aus den USA und Europa (darunter Halbmarathon-Europarekordler Julien Wanders aus der Schweiz, 59:13 Minuten) verbringen wird. Weihnachten in Deutschland mit Tannenbaum und seinen Freunden wäre ihm aber lieber. „Man muss schon verzichten“, weiß Petros.

Die Tage in der dünnen Höhenluft Ostafrikas sind wichtig im Trainingsaufbau. Petros’ Ziele: der Silvesterlauf in Trier, ein Zehn-Kilometer-Rennen in Valencia Anfang Januar und am 19. Februar in Sevilla sein nächster Marathon. Am 29. Dezember reist er direkt aus Kenia via Frankfurt an die Mosel. Der ideale Abstand zwischen Höhentraining und dem Wettkampf am Nachmittag des 31. Dezembers (15.30 Uhr)! Liegt da der vierte deutsche Sieg im Bitburger-0,0%-Lauf der Asse über acht Kilometer in der Luft? „Es hat etwas gedauert, aber die Form kommt langsam. Wir haben viel Geschwindigkeit für Trier trainiert“, erzählt Petros. Gerade kommt er von einer Track-Session mit anderen Weltklasseläufern. Für Kenner: Fünfmal 2000 Meter und fünfmal 1600 Meter mit jeweils 200 Meter Trabpause zwischen den Belastungen standen auf dem Programm. Die Zweitausender lief Petros knapp über 5:40 Minuten.

Der Silvesterlauf in Trier wird sein zweites Rennen seit der Europameisterschaft im August. Richard Ringer (LC Rehlingen) dankte nach dem Gewinn des Europameistertitels im Marathonlauf seinem Nationalmannschaftskameraden für dessen Hilfe und Aufmunterung, nachdem er den Kontakt zur Spitze zwischenzeitlich bereits verloren hatte. Petros, der EM-Vierter wurde, gibt sich bescheiden: „Man braucht immer auch Unterstützung und wir haben gut zusammen gearbeitet. So hat es auch für EM-Silber mit dem Team gereicht.“ Beim Silvesterlauf, seinem letzten Rennen für den TV Wattenscheid (ab 2023 SSC Berlin), ist Richard Ringer Petros’ Favorit.

Und natürlich einer der Konkurrenten um einen Startplatz im olympischen Marathon 2024 in Paris. Auch als deutscher Rekordler hat Petros’ keine Wildcard. „2:13 Stunden zu laufen war früher mal klasse, aber der Marathon in Deutschland hat sich toll entwickelt“, sagt Petros. Um in Paris dabei zu sein muss man voraussichtlich schneller laufen als Arne Gabius, der 2015 mit 2:08:33 Stunden nach fast drei Jahrzehnten den Uraltrekord von Jörg Peter (2:08:47) tilgte. Petros hob diese Marke auf Weltklasseniveau.

Einen dritten Rekord im dritten Jahr gab es nicht. Starts in Frankfurt Ende Oktober und dann in Valencia Anfang Dezember sagte Petros, der als 16-Jähriger ähnlich wie Samuel Fitwi von der LG Vulkaneifel aus Eritrea floh, ab. Die Sorge um seine Mutter und Schwester, die im von der Öffentlichkeit vergessenen Krieg in der äthiopischen Region Tigray zurückgeblieben sind, machte ihm zu schaffen. Eineinhalb Jahre lang waren die Telefonverbindungen gekappt und Petros wusste nicht, wie es seiner Familie ging. Um nicht zu grübeln, lief er zeitweise 220 Kilometer pro Woche. Trainer Tono Kirschbaum gefiel das nicht: zu viel! Aber der müde Läufer konnte schlafen. Zeitweise überlegte Petros sogar, sich auf eigene Faust auf die Suche nach seiner Mutter ins Kriegsgebiet zu begeben.

Das wäre ebenso lebensgefährlich gewesen, wie ein Jahrzehnt zuvor seine Flucht nach Deutschland. Gelaufen war Petros bis zu seiner Ankunft in einer Flüchtlingsunterkunft in Bielefeld zuvor nur bei Schulwettkämpfen. „Ich war Fußballer“, sagt er. Doch erst bei einem von den Flüchtlingsbetreuern organisierten Ausflug zum „Oesterweger Volks- und Feuerwehrlauf“ nahm der damals 17-Jährige Ende Juni 2012 spontan an einem Zehn-Kilometer-Rennen teil – und gewann! „Es war wohl eine 36er-Zeit. Ohne den kleinen Pokal, den ich damals bekommen habe, wäre ich heute nicht da, wo ich bin“, sagt Petros und betont: Über den Sport war es leichter, in Deutschland heimisch zu werden und die Sprache zu lernen.

Dass er zum Jahreswechsel wieder in Deutschland und Trier ist, freut Petros ganz besonders. „Trier ist eine der schönsten Städte, die ich kenne“, sagt der 27-Jährige. „Wenn die Zuschauer bei den acht Silvesterlauf-Runden ausrasten, das ist einfach der Wahnsinn“, erinnert sich Petros gerne an die Stimmung rund um den Hauptmarkt. Die Atmosphäre könnte diesmal noch heißer werden, wenn zum vierten Mal ein Deutscher den Asselauf gewinnt. Vielleicht heißt er dann Amanal Petros!