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Silvesterlauf-Gesichter (10): Waltraud Mertes

Der erste Trierer Silvesterlauf am 31. Dezember 1990 ist Waltraud Mertes in bester Erinnerung. „Da war ich zum ersten Mal dabei – als Zuschauerin, weil mein Bruder Guido da gelaufen ist.“ Die Blicke der regionalen Läuferszene richteten sich damals auf das neue Sportevent in der Römerstadt, zu dessen Gründern der Langstreckenläufer Berthold Mertes zählte. Weil Waltrauds Bruder als Vierter sehr gut abschnitt, warb Mertes ihn für seine junge Trainingsgruppe im Ausrichterverein SV Eintracht-Trier 05 an. So kam es, dass die ältere Schwester den damals 16-jährigen Guido regelmäßig vom Training im Moselstadion abholte.

„Und deshalb habe ich den Berthold immer wieder mal gesehen“, erzählt Waltraud Mertes mehr als drei Jahrzehnte später. Bei Trainings, bei Wettkämpfen. „Und irgendwann… Dann war das irgendwann klar“, erzählt die 59-jährige und muss lachen. Seit 1995 sind die beiden verheiratet, haben zwei Kinder, Nina (27) und Paul (22).

Der Silvesterlauf ist im Familienkalender gesetzt. Das Paar ist die letzten Tage des Jahres stets in Trier, wo nicht nur Silvester gefeiert wird, sondern auch viel zu organisieren ist. Waltraud ist dabei eingespannt: „Ob Konfetti und Trillerpfeifen zu verteilen sind, den Kindern Medaillen umzuhängen oder Sekt im Gästebereich auszuschenken ist – das habe ich in den vergangenen Jahren vor allem gemacht.“ Ein paar Mal ist sie, wenn die Zeit es zuließ, zum Abschluss im Volkslauf gestartet: „Einfach überwältigend“, beschreibt Waltraud die Stimmung. Marathon ist sie irgendwann auch gelaufen, „so mit Mitte 40“, und für eine Hobbysportlerin sogar recht flott (3:29 Stunden in Berlin 2011).

“Kein Konfetti? Geht nicht!”

Manchmal, wenn sie an Silvester die Konfetti-Tütchen auf Hauptmarkt und Brotstraße verteilt, gebe es Zuschauer, die scheinbar missmutig an den Absperrungen stünden und zunächst keine Tüte annehmen wollten. „Dann sage ich immer: Das geht nicht – jeder nimmt Konfetti! Und dann nehmen sie das auch“, sagt Waltraud mit jenem einnehmenden Lächeln, mit dem sie selbst den grummeligsten Zuschauer überzeugen kann. Man merkt, dass das Ehepaar Mertes seit Jahrzehnten im lebensfrohen Rheinland lebt, im Walddorf Straberg, einem Dormagener Stadtteil im Norden Kölns. Trier ist und bleibt jedoch Heimat. Wegen Familie und Freunden, sowie nicht zuletzt wegen des Sports: Firmenlauf, Frauenlauf und Flutlichtmeeting sind beim 2002 gegründeten Silvesterlauf-Verein hinzugekommen. Zuletzt betreute Waltraud beim Flutlichtmeeting im Moselstadion mit Tochter Nina geladene Gäste, wenige Tage später unterstützte sie im Amphitheater Sandra Berweiler beim Sektaussschank hinter dem Zieleinlauf.

Die Fahrerei ist mitunter stressig – daraus macht Waltraud Mertes keinen Hehl. 2023 etwa arbeitete sie noch am 30. Dezember. Sich nach Feierabend für die 200 Kilometer ins Auto nach Trier zu setzen, das sei anstrengend. „Da denkt man dann schon: Boah. Aber dann komme ich an, viele Athleten sind schon da und begrüßen einen herzlich“, schwärmt sie. „Im Lauf der Jahre ist das eine große Familie geworden. Dann freue ich mich, da zu sein und alle zu sehen.“ Ob Trainerfuchs Wolfgang Heinig zum Beispiel, den Coach der Silvesterläuferinnen Gesa Krause und Olivia Gürth. Oder dessen Frau Katrin. „Der Sekt mit ihr hat Tradition“, sagt Waltraud schmunzelnd.

Silvesterlauf in der Notaufnahme

Jeder Silvesterlauf bringt Erinnerungen mit sich. Waltraud Mertes überlegt kurz, dann erzählt sie eine Anekdote, die ihr besonders präsent ist. 2010, es ist früh am Morgen eines besonders kalten 31. Dezember, auf den Straßen hat sich Blitzeis gebildet. Just zum Zeitpunkt, zu dem viele Spitzenläufer sich aktiv auf das Rennen einstimmen.  „Wir haben im Athletenhotel vor der Porta Nigra aus dem Fenster geschaut“, erzählt Waltraud, „und haben beobachtet, wie vor der Porta reihenweise Leute hingefallen sind.“ So auch zwei afrikanische Athleten beim Einlaufen. Die beiden stürzen übereinander. „Einer von ihnen hatte eine dicke Beule am Kopf – und ich saß dann den ganzen Nachmittag mit ihm in der Notaufnahme, wo wir uns mit Händen und Füßen verständigten.“ Für den betroffenen jungen Kenianer ohne Englisch-Kenntnisse ein Horrorerlebnis, während sein Landsmann Micah Kogo für einen der vielen Silvesterlauf-Siege der Läufernation Nummer eins sorgte (Foto) – und Waltraud im Brüderkrankenhaus Zeugin wurde, wie reihenweise an Armen, Beinen oder Schultern bandagierte Menschen die Notaufnahme bevölkerten. Als sie aus der Klinik kam, war das Event vorbei.

Waltraud ist froh, dass auch Sohn Paul und Tochter Nina sich nach wie vor einbringen. Aktuell beim Shuttleservice für die Spitzenathleten zum Beispiel. „Unsere Kinder sind damit aufgewachsen.” Sie haben in der Heimat ihrer Eltern quasi Laufen gelernt. „Dieses Jahr”, erzählt Waltraud, “kommt Nina für die Tage rund um Silvester extra aus Berlin nach Trier.” Der Silvesterlauf, ein starkes Stück Familiengeschichte, die 1990 ihren Anfang nahm.

Anmerkung: Das Porträt von Waltraud Mertes ist Teil der Serie „Gesichter des Silvesterlauf-Vereins“, die regelmäßig montags auf dieser Homepage fortgesetzt wird. Geschrieben wird sie von Michael Merten, die Porträt-Fotos stammen von Daniel Prediger. Das Auftaktporträt über Michael Merten stammt aus der Feder von Berthold Mertes.

Bisher erschienen sind:

Silvesterlauf-Gesichter: Michael Merten

Silvesterlauf-Gesichter (2): Claus Sporer

Silvesterlauf-Gesichter (3): Annette Ritter

Silvesterlauf-Gesichter (4): Simone Ries-Lentz

Silvesterlauf-Gesichter (5): Judith Knob

Silvesterlauf-Gesichter (6): Thomas Schröter

Silvesterlauf-Gesichter (7): Pia Bösen

Silvesterlauf-Gesichter (8): Hermann Barten

Silvesterlauf-Gesichter (9): Holger Teusch

Silvesterlauf-Episoden: (1) Waltraud Mertes verteilt Konfetti und Trillerpfeifen (2023) – (2) … mit Sohn Paul im Jahr 2006 – (3) Tochter Nina gewinnt den Volkslauf 2010 (hier an der Seite der früheren Marathon-Olympiadritten Katrin Dörre-Heinig) – (4) Micah Kogo siegt im Bitburger 0,0%-Lauf der Asse, während Waltraud Mertes sich mit Kogos verletztem Landsmann in der Notaufnahme des Brüderkrankenhauses befindet.