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Samuel erzählt seine Geschichte

Nein, Samuel Fitwi hat nicht den Beruf gewechselt. Er ist nicht Journalist geworden, sondern bleibt Laufprofi. Dennoch ist dem 27-Jährigen vom Verein Silvesterlauf Trier nach seinem Erfolg als bester deutscher Läufer beim Berliner Halbmarathon die Ehre zuteil geworden, das Editorial für das Finisher-Magazin zu formulieren – unterstützt von den Schreib-Profis Christian Ermert und Berthold Mertes. Samu erzählt vom Berliner Rennen, von seiner Vergangenheit – und über seine Zukunft. Vor zehn Jahren als 17-Jähriger vor menschenunwürdigen Lebensumständen aus Eritrea geflüchtet, hat er in der Mosel-Eifel-Region seine neue Heimat gefunden: als Wohnort Gerolstein, als Verein den Silvesterlauf Trier. Das große Ziel: die Olympiateilnahme im Marathon.

Über 21,0975 km, die Hälfte der klassischen Distanz, war Samuel in der deutschen Hauptstadt am Sonntag vor Ostern Neunter in einer Weltklasse-Konkurrenz geworden. Die tolle Aufnahme in diesem Homepage-Text stammt von Top-Fotograf Norbert Wilhelmi. Das Finisher-Magazin, das die insgesamt 36.000 Teilnehmer des GENERALI Berliner Halbmarathons zu Ostern in ihrem Mail-Postfach erhalten haben, widmet Samuel Fitwi fünf volle Seiten mit Text und schönen Fotos. Direkt als Einstieg in das 150-seitige Heft. Wer sich das Magazin komplett anschauen möchte, findet es über diesen Link. Wer den Text direkt hier lesen möchte, bitteschön…


Und jetzt die volle Distanz

SAMUEL FITWI: Mein Halbmarathon


Als einer der Ersten gratulierte der deutsche Halbmarathon- und Marathon-Rekordler Amanal Petros ihm zur besten Platzierung eines Deutschen beim 42. GENERALI BERLINER HALBMARATHON. Samuel Fitwi lief in 61:44 Minuten auf Rang neun. Hier schreibt er, wie er das Rennen zu seiner neuen Bestzeit erlebt hat und warum er sich zutraut, demnächst auf der Marathon-Distanz in Bereiche vorzustoßen, die gar nicht mehr so weit weg sind vom Deutschen Rekord, den Amanal Petros mit 2:06:27 Stunden hält.


Eigentlich wollte ich unter 61 Minuten laufen, aber es gab keine Gruppe, die auf dieses Tempo ausgerichtet war. Die erste Gruppe mit den großen Favoriten war mir zu schnell, so dass ich gemeinsam mit Sebastian Hendel und Davor Aaron Bienefeld in der zweiten Gruppe gelaufen bin, um so Richtung 61:30 zu kommen. Die Temperaturen waren für mich ideal, der Wind hat allerdings vor allem zwischen Kilometer sechs und neun etwas gestört. Daher haben wir uns in der Tempoarbeit abgewechselt. Hinten heraus konnte ich dann nochmals anziehen. Mit den 61:44 bin ich zufrieden. Es ist toll, als bester Deutscher gefinisht zu haben.

Die Stimmung in Berlin war fantastisch, ich freue mich schon darauf, im September wiederzukommen, um dann beim Marathon um die Qualifikation für Olympia zu kämpfen. Mein Ziel ist eine Zeit unter 2:08 Stunden. Das mag jetzt sehr ambitioniert klingen, aber ich bin ja schon bei meinem ersten Marathon im Februar in Sevilla lange Richtung 2:07 Stunden gelaufen. 

Dort hatte ich mich nach zwei jeweils sechswöchigen Höhentrainingslagern in Äthiopien einer Gruppe angeschlossen, die Richtung Olympianorm von 2:08:15 Stunden laufen wollte. Ich weiß, das klingt verrückt für ein Marathon-Debüt, aber in dieser Gruppe waren einige Athleten, mit denen ich in Addis Abeba zusammen trainiert habe. Von den Trainingsleistungen her waren wir auf einem Niveau.

Bis zum 30. Kilometer lief in Sevilla auch alles perfekt, dann zerfiel die anfangs 20 Athleten starke Gruppe und ich bekam ab Kilometer 32 muskuläre Probleme. Bis Kilometer 35 wurde ich dadurch etwas langsamer – eine Endzeit von 2:09 wäre zu diesem Zeitpunkt bei gleichbleibendem Tempo noch möglich gewesen. Dann bin ich „geplatzt“ und die letzten sieben waren die härtesten Laufkilometer meines Lebens. Aber egal: Ich habe gefinisht! Auch die Endzeit von 2:12:13 ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe, aber ich bin dennoch zufrieden. Denn es hat unter anderem für einen neuen Rheinland-Pfalz-Rekord gereicht. 

Den nächsten habe ich mir dann beim GENERALI BERLINER HALBMARATHON geholt, denn schneller als 61:44 Minuten ist noch kein Rheinland-Pfälzer einen Halbmarathon gelaufen. Seit meiner Flucht aus Eritrea lebe ich in dem Bundesland, genauer gesagt im Städtchen Gerolstein in der Eifel. Seit diesem Jahr starte ich für den Silvesterlauf Trier e.V. – die alte Römerstadt ist nicht weit von Gerolstein entfernt. 

In der Eifel-Mosel-Region habe ich eine neue Heimat gefunden, nachdem ich mit 17 Jahren für eine bessere Perspektive unter menschenunwürdigen Bedingungen aus Eritrea geflüchtet bin. Dass ich in Deutschland zu einem Top-Läufer werde und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, hätte ich niemals zu träumen gewagt. Anfangs habe ich ja noch als Maler gearbeitet.

In Gerolstein war mein jetziger Trainer Yannik Duppich einer der ersten, die mein Talent erkannt und gefördert haben. Yannik lebt für das Laufen und ist für mich vor allem auch ein guter Kumpel. Er selbst durfte in seiner Jugendzeit das Deutschlandtrikot tragen und bei den Crosslauf-Europameisterschaften starten. Seine Begeisterung für den Laufsport verbindet er mit großem Wissensdurst, was die theoretischen Grundlagen angeht. Er weiß, wie wir gemeinsam an meinen Schwächen arbeiten und meine Stärken ausbauen – und gestaltet dementsprechend meine individuellen Trainingspläne.

Weil er bald zum zweiten Mal Vater wird, konnte er weder in Berlin noch in den Trainingslagern dabei sein. Das war aber kein Problem. Die beiden Höhentrainingslager in Äthiopien waren für mich eine großartige Erfahrung. Es war ein bisschen wie nach Hause kommen. Ich habe sogar Freunde von früher getroffen, die aus Eritrea nach Äthiopien geflüchtet sind. Mich in meiner Muttersprache unterhalten zu können, war sehr schön.