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Jetzt bloß die Füße still halten

Samuel Fitwi steht vor seinem Marathon-Debüt. Seit Anfang Januar trainiert der Läufer des Vereins Silvesterlauf Trier in Äthiopien – und hat doch nicht mehr Kontakt zu seiner Familie in Eritrea, als das von Deutschland aus der Fall ist. Laufreporter Holger Teusch hat kurz vor der Rückkehr nach Europa mit Samuel telefoniert und schreibt auf volksfreund.de über dessen unmittelbare Marathonvorbereitung… Das Foto zeigt Samu während eines Trainings in der Gruppe im gelben Shirt und schwarzer Hose sowie pinken Saucony-Schuhen.

Es sind schwere Tage für Samuel Fitwi! Monatelang ist der 27-Jährige vom Verein Silvesterlauf Trier im Trainingslager in Äthiopien meist zweimal täglich gelaufen. In den letzten Tagen vor seinem Marathon-Debüt am kommenden Sonntag (19.2.) in Sevilla lautet das Motto aber: Füße stillhalten! Aktive Erholung, die Energiedepots vollständig auffüllen statt Kilometer schrubben, das ist angesagt. Eine riesige Umstellung, wenn man zuvor fast ein halbes Jahr lang jede Woche bis zu 200 Kilometer gerannt ist.

Und nicht ganz unproblematisch, weiß Fitwis Trainer Yannik Duppich. „Ich bin erst froh, wenn Samuel am Sonntagmorgen sagt: alles klar“, erzählt der Gerolsteiner. Sich eine Erkältung oder andere Infektion einzufangen, ist oft gerade dann gegeben, wenn die Anspannung des Trainings abfalle. Hinzu kommt die Anreise seines Schützlings am Donnerstag von Addis Abeba via Frankfurt direkt nach Sevilla.

Zusammen mit einer rund 20-köpfigen äthiopischen Trainingsgruppe hat sich Fitwi in den vergangenen Wochen auf den großen Tag vorbereitet. Darunter sind Athleten wie beispielsweise Tesfahun Akalnew, der die klassischen 42,195 Kilometer bereits in 2:06:55 Stunden und Halbmarathon unter einer Stunde (59:22 Minuten) gelaufen ist, erzählt Fitwi im Telefonat aus Addis Abeba. Akalnew lief direkt bei seinem Marathon-Debüt unter 2:07 Stunden.

Das wäre natürlich traumhaft. Dann hätte Fitwi das Ticket zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris (Norm: 2:08:15 Stunden) wohl sicher in der Tasche. Aber auch jenseits der Träume sind seine Ziele ambitioniert. „Wenn ich im ersten Marathon unter 2:10 Stunden bleibe, ist das in Ordnung“, sagt er. „Zwischen 2:08 und 2:12 ist alles möglich“, ergänzt Duppich. „Samuel kann überraschen, aber es ist ein Marathon.“ Mit vielen Unbekannten. Zu allererst muss er den Marathon zu Ende laufen. Im Training sei sein Schützling mit den großen Distnzen immer gut zurechtgekommen, auch bei den langen (35 Kilometer) und gesteigert (bis 3:00 Minuten pro Kilometer, Schnitt: 3:15) gelaufenen Einheiten. „Es war anstrengend, aber nie richtig an der Grenze.“

Auch Fitwi weiß, dass die 42,195 Kilometer eine ganz neue Erfahrung werden. „Für die Beine ist es einfacher als für den Kopf“, ahnt er. Geduld bewahren und cleveres Laufen ist gefragt. Der Coach seiner äthiopischen Trainingsgruppe habe gesagt, dass er auch in der zweiten Gruppe des Sevilla-Marathons mitlaufen könne. Die erste soll ein Tempo für eine Endzeit um 2:04 Stunden anschlagen. Die zweite für 2:06:30 Stunden. „Das sind bei Halbmarathon über 63 Minuten“, rechnet Fitwi (Halbmarathon-Bestzeit 1:01:56 Stunde) vor. Er plant aber, sich in der dritten Gruppe einzusortieren, die 2:08 Stunden anpeilt und damit eine Zeit, die vor drei Jahren noch deutscher Rekord gewesen wäre. Die aktuelle nationale Bestmarke (2:06:27) hält Amanal Petros seit Dezember 2021.

Der Ratschlag des äthiopischen Trainers ist wohl auch ein Hinweis darauf, wie gut sich der Marathon-Novize vom Verein Silvesterlauf Trier entwickelt hat. Duppich, der die Einheiten mit Fitwi von Gerolstein aus per Telefon abspricht, ist ebenfalls zufrieden: „Langfristig traue ich Samuel auf jeden Fall unter 2:08 Stunden zu. Das Marathontraining seit Oktober hat gezeigt, dass das sein Ding ist.“ Das Training in Äthiopien, in bis zu 2600 Meter Höhe, kommt Fitwi, der als Jugendlicher aus Eritrea nach Europa flüchtete und seit 2018 die deutsche Staatsbürgerschaft hat, entgegen. „Ich habe mir ein Appartement gemietet“, berichtet er. Da könne er sich das Essen selbst zubereiten. Die Ernährung ist ein wichtiger Punkt. Und die Erholung: „Man muss aufpassen, dass man genug schläft.“

Auch wenn Fitwi nun einige Tausend Kilometer näher bei seinem weiterhin in Eritrea lebenden Familienangehörigen ist, Kontakt zu halten ist mindestens so schwer wie von Deutschland aus. „Wir können nur telefonieren. Für zwei Euro zwischen fünf und zehn Minuten“, erzählt er. Anders als in Äthiopien gebe es im Nachbarland Internet nur in den Städten. Den Sevilla-Marathon im Livestream zu verfolgen, so wie es einige seine Anhänger aus der Region Trier tun werden? In Eritrea unmöglich! Fitwi wird also am Sonntagabend zum Telefon greifen müssen, um seiner Familie zu berichten, wie es ihm bei seinem Marathon-Debüt ergangen ist.