EM-Heldin Lea Meyer kommt
Lea Meyer, die mit ihrem furiosen Lauf zur Silbermedaille über 3000 Meter Hindernis das Publikum bei den Leichtathletik-Europameisterschaften im Münchner Olympiastadion von den Sitzen riss, kommt zum Silvesterlauf nach Trier. 2019 beim Jubiläumsrennen hatte die 25-Jährige vom ASV Köln lange mit der zweimaligen Europameisterin Gesa Krause mitgehalten (Foto). Die Topathletin des Vereins Silvesterlauf Trier wurde damals Vierte des Sparkasse Trier-Elitelaufs, Lea Meyer Sechste. Bei der EM in München fehlte Titelverteidigerin Krause im August 2022 krankheitsbedingt, doch dank Meyer stand am Ende wieder eine Hindernisläuferin aus Deutschland auf dem Treppchen. Im 5-km-Frauenrennen des 33. Bitburger 0,0%-Silvesterlaufs sollen die beiden Protagonistinnen am 31. Dezember um 15 Uhr wie schon 2019 nebeneinander auf dem Hauptmarkt Aufstellung an der Startlinie nehmen.
Lea Meyers Geschichte des Jahres 2022 ist an Dramatik nicht zu überbieten. Ausführlich ist sie auf dem Fachportal leichtathletik.de nachzulesen.
2022 begann für Lea Meyer mit der Trauer um ihren verstorbenen Trainer Henning von Papen. Dann purzelten in der Halle und zum Start der Freiluftsaison die Bestzeiten, in Berlin gewann Lea Meyer ihren ersten deutschen Meistertitel. Im WM-Vorlauf von Eugene (USA) folgte ein sportlicher Rückschlag: Spektakulärer Sturz in den Wassergraben, der auch groß durch die Medien ging, aber zum Glück keine Verletzung mit sich brachte.
Im Anschluss wurde die Vorbereitung auf die Heim-EM von einer Corona-Infektion gestört. In München gewann die Hindernis-Spezialistin dennoch überraschend und mit einer Steigerung um zehn Sekunden auf 9:15,35 Minuten die Silbermedaille. Beim Saisonabschluss in Brüssel (Belgien) dann wieder ein Sturz, diesmal auch mit Verletzungsfolgen: einem Bänderriss und einer Fraktur im Knöchelgelenk.
Über das emotionale Auf und Ab der vergangenen Monate spricht die 25-Jährige ausführlich in unserem DLV-Podcast #TrueAthletes – TrueTalk. Es steht aber auch sinnbildlich für den Verlauf ihrer gesamten bisherigen Karriere. Mehrfach stand die sportliche Zukunft in Frage, immer neue Wendungen führten aber doch zurück auf die Laufbahn.
Frühe Erfolge, erster Irrweg
Die ersten Erfahrungen mit der Leichtathletik verliefen noch wie bei vielen anderen Athletinnen und Athleten. In ihrer Heimat im niedersächsischen Löningen begann Lea Meyer im Grundschulalter mit der Kinderleichtathletik und probierte sich zuerst in allen Disziplinen. Es stellte sich aber schnell heraus, dass sie besonders Talent für das Laufen hat. Um einseitigen Belastungen entgegenzuwirken und weil ihr Schwimmen auch gefiel, startete die damalige Schülerin zum Ausgleich zwischendurch auch mal im Triathlon.
Unter der Anleitung ihres Jugendtrainers Armin Beyer beim VfL Löningen feierte das Talent frühe Erfolge. 2013 zählte sie noch zur Altersklasse W15, gewann aber schon gegen ältere Konkurrenz in der U18 in Mönchengladbach den deutschen Jugendmeistertitel über 1.500 Meter (4:30,57 min). „Damit kamen Gedanken an eine mögliche Karriere im Leistungssport auf und daran, einmal international für Deutschland zu starten.“
Dieser Wunsch erfüllte sich schon ein Jahr später mit der Teilnahme an der Cross-EM in Belgrad (Serbien), die auch gleich mit einer internationalen Medaille gekrönt wurde, Bronze mit der DLV-Mannschaft in der Altersklasse U20. Dazu kamen erste Starts über 1.500 Meter Hindernis, die in den Jahren 2013 und 2014 jeweils den DM-Titel der U18 in Rostock und Wattenscheid brachten.
Die damals 17-Jährige verließ ihr Elternhaus, um mit dem Beginn der Oberstufe ins Sportinternat in Hannover umzuziehen. Doch dies erwies sich als Fehlentscheidung. „Ich musste feststellen, dass dieses System nicht das richtige für mich war. Dazu kam erstmals für mich eine kleine Verletzung. Ich konnte und wollte nicht mehr laufen. Außerdem lief es auch in der Schule nicht“, erinnert sich Lea Meyer. „Nach dem Höhenflug vorher war das sehr hart.“ 2015 absolvierte sie keine Wettkämpfe und kehrte für ihr letztes Schuljahr in ihre Heimat nach Löningen zurück.
Wieder Löningen, dann Umweg USA
Nicht nur die schulische Laufbahn, sondern auch die sportliche musste nach dem gescheiterten Hannover-Plan wieder in geordnete Bahnen gebracht werden. „Ich musste mir erst einmal klar werden, ob ich überhaupt zurück möchte in den Leistungssport.“ Mit Armin Beyer stand ihr dabei wieder eine Vertrauensperson zur Seite und es ging wieder aufwärts, auch während die Athletin nach bestandenem Abitur ein soziales Jahr absolvierte.
Als Zweite der Jugend-DM über 2.000 Meter Hindernis meldete sie sich noch in der Altersklasse U20 zurück. Ein Jahr später und mit einer enormen Steigerung belegte die damals 19-Jährige mit ihrer ersten 3.000-Meter-Hindernis-Zeit unter zehn Minuten (9:58,16 min) den sechsten Platz bei der U23-EM in Bydgoszcz (Polen).
Obwohl nicht ganz davon überzeugt und ohne die Möglichkeit, dort ihr Wunschstudium Lehramt aufzunehmen, nahm die Niedersächsin im Herbst 2017 ein US-Stipendium an und ging an die Universität von San Francisco. „Das war letztlich ein ähnliches Abenteuer wie das Internat“, erzählt Lea Meyer. Die Rahmenbedingungen waren zwar professionell, die Betreuung dafür eher unpersönlich. „Ich war nicht offen und bereit dafür.“ So ging es nach weniger als einem Jahr und wieder mit Unsicherheiten zurück nach Deutschland, die Leistungsfähigkeit war nicht auf dem Niveau des Vorjahres.
Wo bleibt der Spaß?
Der neue Plan war, in Hamburg ein Lehramtsstudium aufzunehmen und dort unter der Anleitung von Beate Conrad zu trainieren. Kurz nach dem Umzug dorthin wieder ein Wendung: Die Stelle ihrer neuen Trainerin wurde nicht verlängert, Beate Conrad ging zurück nach Berlin und ihr Neuzugang pendelte regelmäßig zum Training dorthin oder absolvierte ihre Einheiten allein.
Das folgende Jahr 2019 wurde dennoch wieder ein erfolgreiches. Neben dem deutschen U23-Titel in Wetzlar (10:00,17 min) steigerte die damals 21-Jährige ihre Bestzeit über 3.000 Meter Hindernis auf 9:54,84 Minuten und belegte bei ihrer zweiten U23-EM in Gävle (Schweden) Platz fünf. Doch die Gefühlswelt passte so gar nicht zu den eigentlich positiven Ergebnissen. Lea Meyer fühlte sich ausgebrannt. Statt mit eigentlich gewohnter Freude zum Training zu gehen, waren die Einheiten zur Pflichtaufgabe geworden. Freude kam trotz der guten Leistungen keine auf. Immerhin genoss sie – begleitet von ihrer Mutter – den Jahresabschluss beim Silvesterlauf in Trier.
Impulse durch Henning von Papen
In Köln sollten die Prioritäten neu geordnet werden: Das Lehramtsstudium, das übrigens wegen der sich von Hamburg unterscheidenden Ausgestaltung wieder von vorn losging, sollte mehr in den Vordergrund rücken, der Sport eher zur Freizeitbeschäftigung werden in der Gruppe von Henning von Papen. Da war es für Lea Meyer sportlich auch nicht tragisch, dass die von vielen anderen Athletinnen und Athleten heiß ersehnte Saison 2020 kräftig von der Corona-Pandemie durcheinandergewirbelt wurde.
Die Hindernisläuferin fand in dieser Zeit den Spaß am Training wieder, in der Gruppe eine echte sportliche Heimat, insbesondere dank ihres neuen Trainers, der immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Gedanken neben dem Sport hatte, ihr zuhörte und sie nicht unter den Druck setzte, Bestzeiten zu jagen. Denen kam die Athletin in der „Late Season“ des dann nicht olympischen Sommers trotzdem wieder nah, unter anderem beim ISTAF in Berlin (9:55,46). Ganz ohne Zwang war die Rückkehr in den Leistungssport vollzogen. Dafür, wie gut sie in Köln angekommen war, steht auch der folgende Entschluss für den ersten Vereinswechsel überhaupt, vom langjährigen VfL Löningen zum ASV Köln.
Schon 2021 machte deutlich, welche Leistungen möglich werden, wenn sich die Hindernisläuferin wohlfühlt und kontinuierlich an ihren Fähigkeiten arbeitet. In der Hallensaison kratzte sie über 3.000 Meter an der Neun-Minuten-Grenze und nahm in Torun (Polen) erstmals an einer Hallen-EM teil. Der Sommer brachte eine Pulverisierung der Hindernis-Bestzeit bis auf 9:29,26 Minuten, die direkt zu den Olympischen Spielen nach Tokio führte.
2022 voller Höhen und Tiefen
Im Verlauf ihrer sportlichen Laufbahn hat Lea Meyer also schon manches Tal durchschritten und mehrfach zurückgefunden. Erfahrungen, auf die sie im Jahr 2022 zurückgreifen konnte, das in rasender Geschwindigkeit eine weitere emotionale Achterbahnfahrt bereithielt. Was sich trotz aller Umstände wiederholt als Konstante herausstellte, war die körperliche Leistungsfähigkeit, die weder durch die Trauer um Henning von Papen noch den Sturz bei der WM oder die folgende Corona-Erkrankung gemindert wurde.
„Ich denke einfach, dass sich das Training der vergangenen Jahre auszahlt und gefestigt hat. Mein Körper hat gezeigt, dass er das System annimmt. Ich konnte auf höherem Niveau trainieren und fühle mich auch bei höheren Geschwindigkeiten wohl“, sagt sie.
So richtig Zeit, die Ereignisse der vergangenen Monate zu verarbeiten, ist noch nicht geblieben. Denn der Sturz beim Saisonabschluss hinterließ die nächste Herausforderung. Erst einmal war Geduld gefragt, die Verletzungen ausheilen zu lassen. Mittlerweile ist das Training wieder angelaufen. Und Lea Meyers Vorfreude auf den stimmungsvollen Trierer Silvesterlauf steigt täglich.