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Stolz auf die “German machine”

Amanal Petros, seit Ende September deutscher Marathonrekordler, folgerichtig am Wochenende als Deutschlands Läufer des Jahres ausgezeichnet und am 31. Dezember der Star auf dem Hauptmarkt in Trier, wurde von Trainer Tono Kirschbaum in die Erfolgsspur gebracht. Der 68 Jahre alte Münsteraner gab nach Petros’ Berliner Rekordrennen der Frankfurter Rundschau (FR) ein lesenswertes Interview, das wir vier Wochen vor dem Silvester-Showdown in der Trierer Innenstadt im Folgenden in Anzügen wiedergeben… In den Antworten schwingt Kirschbaums Stolz auf die “German machine” (O-Ton Amanal über Amanal) mit.

Kirschbaum hat übrigens binnen drei Jahrzehnten rund 30 Mittel- und Langstreckenläufer aus Deutschland zu Titelehren geführt, darunter Ex-10.000-m-Europameister Jan Fitschen und den früheren 1500-m-Hallen-WM-Zweiten Rüdiger Stenzel. Auch Nils Voigt, der aktuell beste deutsche 10.000-m-Läufer (dieses Jahr 27:30,01 Minuten), wird von Tono trainiert und hat ebenso wie Amanal das Potenzial, im Bitburger 0,0%-Lauf der Asse über 8 Kilometer für den vierten deutschen Männer-Sieg der Trierer Silvesterlaufgeschichte zu sorgen (bisher Olaf Dorow/1990, Thorsten Naumann/1996 und Homiyu Tesfaye/2013). Als Favoriten gelten gleichwohl der zuletzt dreimal in Folge siegreiche Belgier Isaac Kimeli und der Marokkaner Zouhair Talbi (Gewinner 2017).

Nun aber zu den bemerkenswerten Äußerungen Ton Kirschbaums im FR-Interview über seinen Schützling Amanal Petros:

Herr Kirschbaum, beim Berlin-Marathon ist Amanal Petros in 2:04:58 Stunden einen deutschen Rekord gelaufen, der vor einigen Jahren unvorstellbar schien. Wie haben Sie das als sein Trainer erlebt? 

Ich konnte direkt im Begleitfahrzeug dabei sein und habe insofern das ganze Rennen verfolgen können. Das war natürlich auch für mich ein toller Moment, zumal es von Anfang an sehr gut aussah. Bis Kilometer 38 hat Amanal einen sehr guten Eindruck gemacht, nur hintenraus ein bisschen Zeit verloren, aber es hat nie richtig gewackelt.

Warum fallen immer in Berlin im Marathon die Bestzeiten?

Zuallererst ist es die Strecke. Sie ist schnell, und schnell heißt: Sie ist flach, hat weniger Kurven als andere Stadtmarathonstrecken. Dazu gibt es kaum Steigungen. Man läuft in einer Stadt mit einer wahnsinnigen Atmosphäre. An der gesamten Strecke standen wirklich sehr, sehr viele Leute. Dann waren es am Sonntag noch optimale Bedingungen. Ideale Temperaturen, kein Wind.

Amanal Petros ist in Eritrea geboren und hat sich auf Instagram als „german machine“ bezeichnet. Er gilt als Musterbeispiel für gelungene Integration. Da bekommt man Gänsehaut? 

Ich sage auch, dass er wirklich stolz auf sich sein kann und eine Menge erreicht hat. Er hat hier sehr viele Freunde, das ist keine Selbstverständlichkeit. Er spricht die deutsche Sprache gut, und er bemüht sich wirklich, als vorbildlicher Sportler aufzutreten.

Ist er mit seiner Akribie für die deutsche Laufszene beispielhaft? 

Das ist mir ein bisschen zu hoch gegriffen. Aber beispielhaft ist sicherlich den Einsatz, den er fürs Laufen einbringt. Man darf ja nicht vergessen, dass er Sportsoldat ist. Von daher genießt er von staatlicher Seite einen Rückhalt. Dazu gibt es Sponsoren, die ihm ermöglichen, seinen Sport mit Leidenschaft und Bereitschaft zu betreiben.

Er hat vier Monate in Iten im kenianischen Hochland trainiert und berichtet, dass er noch nie so hart gearbeitet habe. Sein Leben habe nur aus trainieren, essen und schlafen bestanden. Wie wichtig war das für den Rekord? 

Er fühlt sich dort auf der einen Seite sehr wohl, auf der anderen Seite ist er dort in einem Trainingslager auch isoliert. Iten ist 2400 Meter hoch. Der Höheneffekt ist noch mal ein ganz anderer als in St. Moritz. Und dort sind ja nicht nur die Kenianer mit ihren Trainingsgruppen, sondern inzwischen kommt dort die halbe Welt zusammen. Amanal ist in einer extrem leistungsstarken Trainingsgruppe, die ihn jeden Tag zu Höchstleistungen antreibt.

Wie steuern Sie das Training?

Zum einen telefonisch, zum anderen über die Uhren, die von der Herzfrequenz, übers Höhenprofil bis zu hin zur Geschwindigkeit alle Leistungsparameter übertragen. Oft ist ja auch mehr gefragt, als nur den Trainingsplan zu machen …

Was ist er für ein Typ: der nach der Wissenschaft oder lieber nach dem Bauchgefühl läuft? 

Eher der zweite. Er war auch von seinem Bauchgefühl fest davon überzeugt, den Halbmarathon in 62:00 Minuten anzugehen, wo ich eher Bauchschmerzen hatte. Aber wenn er von sich überzeugt ist, halte ich ihn nicht davon ab.

Bei der EM 2022 in München war Amanal Petros Vierter. Ist nun eine Medaille bei den Olympischen Zielen das nächste Ziel? 

Ein Sportler träumt davon, ganz vorne mitlaufen zu können. In der bereinigten Weltbestenliste steht Amanal jetzt auf Platz neun, und sein Meisterschaftslauf wie bei Olympischen Spielen ist noch mal etwas anderes. Wer sich da clever verhält und richtig einschätzt, kann auch um Medaillen laufen.

Welche Rolle spielt es, dass sich Bürgerkriegssituation in der äthiopischen Tigray-Region, wo seine Schwester und seine Mutter leben, zuletzt beruhigt hat und er endlich wieder mit seiner Familie Kontakt hatte?

Das hat ihn natürlich schon motiviert, dass in dieser Hinsicht etwas passiert ist. Das gibt ihm einen Schub. Er hat ein großes Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Familie. Wir arbeiten intensiv daran, dass seine beiden Schwestern ein Besuchsvisum bekommen, was sehr schwierig ist. Wir haben für beide schon eine Sprachschule und einen Praktikumsplatz in der Altenpflege organisiert, um vielleicht hier irgendwann arbeiten zu können.

Amanal Petros ist das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik, aber er hat nach eigenem Bekunden das Trainingslager in Kenia mit fast 10 000 Euro selbst bezahlt. Müsste der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nicht mehr für ihn tun? 

Die Gespräche werden wir führen, wo es auch um die finanzielle Unterstützung geht. … Aber fairerweise muss man auch sagen, dass der DLV auch nur einen begrenzten Etat hat. Leider kann nicht jeder Athlet gefördert werden, wie es für den Spitzensport notwendig wäre. Amanal hat einen Großteil der Vorbereitung selbst bezahlt.

Kann aber für einen deutschen Weltklasseläufer eigentlich nicht sein, oder? 

Ja, das ist ein grundsätzliches Thema. Unsere Gesellschaft und unsere Politik müssen sich mal darüber klar werden: Will man Spitzensport oder will man nicht? Wenn man Spitzensport möchte, dann kostet es eben auch Geld. Es geht ja auch weiter: Welchen Stellenwert messen wir dem Sport in der Schule, im Kindergarten, in der Kita bei. Das sind Grundsatzfragen für die Basis des Leistungssports. Es gibt zwar Ansätze, die nach meiner Ansicht aber nicht genügend umgesetzt werden.

ENDE DES INTERVIEWS

Tono Kirschbaum ist wie erwähnt auch Mentor des aktuell besten deutschen 10.000-Meter-Läufers Nils Voigt, dessen Teilnahme am 34. Bitburger 0,0%-Silvesterlauf inzwischen ebenfalls bestätigt ist. Voigt wurde letztes Jahr in Trier Vierter hinter Isaac Kimeli, Richard Ringer und Amanal Petros. (Voigt trägt das gelbe Trikot)