Samu denkt in Addis an Hannover

Samuel Fitwi spult in einer Gruppe von rund 30 Weltklasseläufern Kilometer um Kilometer ab. Schauplatz Addis Ababa und Umgebung. Dreimal in der Woche treffen sie sich zu kraftraubenden Kerneinheiten. Zum Beispiel am vergangenen Dienstag zum long run über 41 Kilometer im Schnitt von 3:37 Minuten (also zweieinhalb Stunden), am Donnerstag zu einem 3:15er Schnitt über 30 Kilometer und zu einem harten Bahntraining an diesem Sonntag. Dazwischen täglich ruhige Dauerläufe, plus zweimal Krafttraining.
Das nächste Ziel für Samu liegt nur vier Wochen entfernt: der ADAC Marathon Hannover, in dessen Rahmen die deutschen Meistertitel vergeben werden. Fitwis Verein Silvesterlauf Trier gilt dabei auch im Team zum Kreis der Titelanwärter, obwohl die Nummer zwei und drei des Clubs (Markus Schweikert/2:20:39 letztes Jahr in Berlin und Yannik Erz/2:29:50 Anfang Januar in Xiamen) in der niedersächsischen Messestadt nicht an den Start gehen. André Ramisch und U23-Läufer Mathis Kaufmann können und wollen es im Rennen um die Teammedaillen richten (die schnellsten drei Läufer jedes Vereins kommen in die Wertung).
Samuel Fitwi gilt am 6. April als klarer Favorit. Die Tempomacher sollen einen Angriff des Olympia-15. auf die von Amanal Petros 2024 aufgestellte Streckenbestzeit (2:06:05) ermöglichen. Eine hohe Hürde ist das, doch das war schließlich auch der deutsche Rekord, den der Läufer vom Verein Silvesterlauf am 1. Dezember 2024 in Valencia um zwei Sekunden auf 2:04:56 Stunden verbessert hat. “Ich bin gut drauf, trainiere verletzungsfrei”, sagte Fitwi diese Woche beim Besuch seines Managers Jörg Ullmann und des Silvesterlauf-Sportdirektors Berthold Mertes in der äthiopischen Metropole. “Und”, so Fitwi, “klar will ich eine gute Zeit rennen und den deutschen Meistertitel nach Trier holen”. Es wäre sein insgesamt viertes DM-Gold nach drei nationalen Titelgewinnen in Folge im Crosslauf (2020 bis 2022).
So ein 30-Kilometer-Lauf auf einer der Hauptverkehrsadern Äthiopiens ist nicht gerade ungefährlich. Dazu später mehr. Zunächst wärmen sich rund 50 Athletinnen und Athleten bei Sonnenaufgang auf einem Parkplatz am Straßenrand auf. Rhythmisch, mit dynamischen Dehn- und Koordinationsübungen. Coach Tessema Abshero, selbst ein ehemaliger Weltklassemann (Bestzeit 2:08:26 Stunden, gelaufen 2008 in Hamburg), hält danach eine kurze Ansprache – und schon geht es los, der tiefstehenden Sonne entgegen. In zwei Gruppen, in der langsameren größtenteils die Frauen, etwa ein Dutzend ist dabei.
Gelaufen wird am Rand der Gegenfahrbahn, sehr diszipliniert. Das heißt in der Regel Schulter an Schulter, jeweils zwei Athleten nebeneinander, die Päärchen hintereinander. Dennoch bleiben Engpässe angesichts des zunehmenden Verkehrs nicht aus. Ein Begleitbus und zwei weitere Autos sichern ab, steuern die Überholvorgänge von hinten nahender Fahrzeuge und warnen die entgegenkommenden. Hier und da sind drei bis vier Fahrzeuge gleichzeitig nebeneinander auf der meist zwar gut ausgebauten, aber eben nur zweispurigen Straße. Höchste Konzentration aller Beteiligten ist gefragt.
Alle fünf Kilometer erteilt der Coach Anweisungen vom Straßenrand. Lässt wissen, ob das angepeilte Tempo eingehalten wird. Und gibt das Signal, wer die Führungsarbeit für das Feld leisten soll. Auf dem vorletzten Abschnitt wird Samu von Tessema an die Spitze des Feldes beordert. Sinnbildlich dafür, dass er weiterhin auf dem Weg ganz an die Spitze ist. Inzwischen zählt der 29-Jährige, der 2015 in die Eifel kam und dort mit dem Laufen begann, zu den drei bis vier stärksten Athleten der Gruppe. Was für ein Aufstieg…
“Als ich 2015 als Flüchtling aus Eritrea nach Deutschland kam, war ich noch kein Läufer”, erinnert Samu. Er landete in der Vulkaneifel. Leichtathletik-Trainer Yannik Duppich motivierte ihn zuerst zum Laufen, dann ab 2018 zum Hochleistungstraining. “Yannik ist seither als Freund und Trainer mein Begleiter”, sagt der mit seinem Coach seit 2023 vom Verein Silvesterlauf Trier geförderte Weltklasseathlet. Und: “Ich habe Deutschland sehr viel zu verdanken. Ich wurde sehr herzlich in der Vulkaneifel aufgenommen. Die Region Trier ist meine Heimat.”
Diese Verbundenheit wird Samu immer dann bewusst, wenn er nach Hause kommt zwischen den Höhentrainingsaufenthalten, die für ihn genauso wie für Gesa Krause und Olivia Gürth, die beiden anderen Olympiateilnehmer des Silvesterlauf-Vereins, unverzichtbar sind, um in der Weltspitze mitzuhalten. Das Heimatgefühl erfasst Samu, der in Gerolstein seinen Wohnsitz hat, immer dann besonders, “wenn ich Veranstaltungen wie Spendenläufe oder Ehrungen erfahren darf, die mich sehr stolz machen”. Voraussichtlich Ende Mai können die Trierer den sympathischen Topathleten das nächste Mal treffen: beim 11. Bitburger 0,0%-Firmenlauf mit Start und Ziel an der SWT Arena. Nicht als Teilnehmer beim größten Breitensport-Event der Region, sondern als Helfer im Team des veranstaltenden Vereins Silvesterlauf Trier.


