Trier – Ruanda: Sportler werden zu Freunden
John Peter muss lachen. „Langsamer, viel langsamer! Das ist Euer Aufwärmprogramm“, ruft er der Horde von Zwölf- bis 16-Jährigen in den blau-weiß gestreiften Trikots der Groupe Scolaire St. Aloys Rwamagana hinterher. Auf den Pfiff von John Peter sind sie losgestürmt, als ginge es auf die Zielgerade. Dabei sind 15 Minuten Einlaufen angesagt. Doch die Motivation des Trainings unter Leitung des Leichtathletik-Nationaltrainers von Ruanda – gemeinsam mit Trierer Jugendlichen – hat alle Bremsen gelöst.
Die Kids reagieren etwas verzögert auf das Kommando. Wer es nicht verstanden hat, den lässt die körpereigene Bremse wenig später ins Joggingtempo zurückgleiten. Jetzt laufen die jungen Ruander in gemischten Grüppchen gemeinsam mit den Teens aus Trier. Auf die Viertelstunde im Laufschritt folgt Gymnastik. Die Übungen unterscheiden sich kaum von denen, die wir kennen. Gerne übernehmen die Trierer Sportler vorübergehend die Trainingsleitung. Danach das Sprinten: Dreimal 200 Meter und dreimal 100 Meter jeweils mit Trabpausen. Eine Herausforderung auf der unebenen Bahn.
„Der Sport ist ein wichtiger Baustein in der Entwicklung Ruandas und wird von unserer Regierung gefördert“, erzählt John Peter, „denn die Voraussetzung für Fortschritt und Wohlstand sind Gesundheit und Bildung – und dazu trägt der Sport bei“. Deshalb die Kooperation zwischen dem Verein Silvesterlauf Trier und dem nationalen Leichtathletik-Verband Rwanda Athletics, deshalb der Jugendaustausch. 2019 waren junge Ruanda-Sportler in Trier zu Gast, aktuell läuft der zehntägige Gegenbesuch – unter anderem gefördert vom Land Rheinland-Pfalz, das dieser Tage seine 40 Jahre währende Partnerschaft mit der ostafrikanischen Nation feiert.
Für die zehn Trierer Jugendlichen in Ruanda ist es eine Lifetime-Erfahrung. Täglich pendeln sie zwischen Sport und Kultur. Zwischen Erlebnis und Erkenntnis, zwischen Frohsinn und Demut. Die Freude an den Begegnungen mit Gleichaltrigen sind die eine Seite – die andere Seite ist es zu realisieren, welche für uns vermeintlich „normalen“ Dinge für die Menschen in dem ostafrikanischen Land alles andere als selbstverständlich sind.
Dazu genügt ein Blick auf das missliche Schuhwerk der einheimischen Schülerinnen und Schüler bei den gemeinsamen Sprints in Gicumbi, dem Höhentrainingscamp im Norden des Binnenlandes. Im Vergleich zu der steinigen, braunen Naturbahn von Gicumbi erscheint die heruntergekommene Leichtathletikanlage im Trierer Waldstadion als ein reiner Luxus. Bedingungen wie im Moselstadion beispielsweise sind Galaxien entfernt. Nach dem gemeinsamen Training spricht Bürgermeister Nzabonimpa Emmanuel. Kids aus Gicumbi und Trier pflanzen Bäume. Baum der Freundschaft, Baum der Kooperation, Baum der Zuversicht.
Freien Platz in ihren Koffern nutzten die Gäste auf der Anreise, um gut erhaltene Trainingsschuhe und -kleidung nach Kigali mitzubringen. Die Hilfe ist weiterhin sehr willkommen, auch wenn Ruanda aufgrund seiner im Vergleich zu den Nachbarländern Uganda, Kongo, Tansania und Burundi derzeit sehr guten wirtschaftlichen Entwicklung zum Einwanderungsland geworden ist. Attraktiv für viele, ein wenig wie die Schweiz von Ostafrika. Ruanda profitiert von seinen fruchtbaren Böden und einer stabilen politischen Situation.
„Nach dem Genozid hat unser Land bei null angefangen“, erzählt John Peter, der selbst zu den Betroffenen im Jahr 1994 zählt, aber mit viel Glück überlebte. „Wir haben eine Vision, wo Ruanda im Jahr 2050 stehen soll“, sagt der 38-Jährige, „Grundlage dafür ist die Versöhnung“. Nicht zufällig trägt die größte Laufveranstaltung Ruandas den Namen Peace Marathon. Nach ihrem Besuch im Kigali Genocide Memorial Site in Kigali verstehen die jungen Leute aus Deutschland die Hintergründe besser. Ruandas Geschichte des brutalen Völkermordes hat manchen von ihnen die Tränen in die Augen getrieben. Seit 1994 ist das Land glücklicherweise im Aufbruch, die Bevölkerung hat sich seither auf etwa zwölf Millionen Einwohner etwa verdoppelt.
Im Wechsel Sport und Gesellschaftliches … Konkret: Am Tag vor dem Trip ins Höhentrainingscamp hatte der deutsche Botschafter Thomas Kurz die jungen Trierer zu einem Gedankenaustausch in seinem Amtssitz empfangen, ein Besuch im Büro des rheinland-pfälzischen Partnerschaftsvereins gehörte ebenfalls zum Programm. Am Tag nach Gicumbi steht der Besuch des Nationalmuseums in Huye und des ehemaligen Königssitzes in Nyanza an. Highlight ist vor dem Gang ins Museum der gemeinsame traditionelle Tanz mit Einheimischen. „Einfach der Hammer“, findet Annika aus Trier. Kein Wunder, denn – frei nach dem Philosophen Martin Buber: Alles wirkliche Leben ist Begegnung.